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Eine Alchemistenwerkstatt aus Wittenberg

Im Jahr 2012 wurde im Franziskanerkloster in Wittenberg ein außergewöhnlich umfangreicher Glasfund geborgen: Sechs große Kisten gefüllt mit Glasscherben wurden direkt von der Ausgrabung in die Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle eingeliefert. Nach dem Auslegen der Scherben bedeckten diese eine Fläche von ungefähr 20 Quadratmetern. Wie bei der Restaurierung archäologischer Funde im Allgemeinen üblich, erfolgten auch hier als erste Schritte die Untersuchung und die Dokumentation der Objekte. Hierbei wird der Erhaltungszustand der Objekte erfasst und bereits erkennbare Spuren wie zum Beispiel Auflagerungen oder Herstellungsspuren werden dokumentiert beziehungsweise beprobt. Als Besonderheit der Wittenberger Glasfunde waren bereits dem Leiter der archäologischen Ausgrabung im Franziskanerkloster die Anhaftungen auf der Glasoberfläche aufgefallen. Proben dieser Anhaftungen wurden im Landeskriminalamt in Magdeburg analysiert. Das Ergebnis war elektrisierend: Nachgewiesen werden konnten unter anderem die für die Alchemie typischen Stoffe wie Antimon und Quecksilber. Somit war klar, dass es sich bei den Tausenden Glasfragmenten um die Überreste einer frühneuzeitlichen Alchemistenwerkstatt handelte. Dies bestätigte auch die weitere Restaurierung der Glasscherben, die sich zu dem Inventar einer Alchemistenwerkstatt zusammensetzen ließen.

Da der Fund aus einer großen Menge durchmischter Scherben von unterschiedlichen Gefäßen bestand, mussten die Fragmente zunächst vorsortiert und gruppiert werden. Anschließend erfolgte die Klebung der Gläser in einer direkten Aufbauklebung, das heißt sobald eine passende Scherbe gefunden wurde, wurde diese sofort passgenau angefügt. Nach etwa einem Jahr Arbeit wurde schließlich das Ausmaß der Alchemistenwerkstatt deutlich. Durch das Zusammensetzen der Scherben entstanden im Laufe der Zeit eine Vielzahl an Destillierhelmen, riesigen Destillierkolben und Retorten.

Nachdem die fragmentarisch erhaltenen Glasgefäße zunächst weitgehend zusammengeklebt wurden, zeigte sich, dass einige Gefäße zu instabil waren, um ihr eigenes Gewicht zu tragen. Bei ihrer weiteren Zusammensetzung musste daher zu unterstützenden Maßnahmen gegriffen werden. Als Beispiel ist hier die Ergänzung eines Destillierkolbens zu sehen. Sein Bodenbereich wurde zunächst mit einem Plexiglasstab verstärkt. Anschließend wurden Acrylharzplatten in den Bodenbereich eingepasst. Mit Hilfe einer Retusche wird abschließend das Erscheinungsbild vereinheitlicht und der Bodenbereich auf diese Weise optisch wiederhergestellt.

Das Zusammensetzen der Gefäße führte auch zu weiteren Erkenntnissen in Bezug auf ihre Verwendung. Die Auflagerungen sowohl innen als auch außen ergaben jetzt ein einheitliches Bild und ermöglichten nicht nur Aufschluss über den Verwendungszweck, sondern erzählen die jeweilige Geschichte eines jeden Objektes. Als Beispiel ist hier ein Destillierkolben mit aufgesetztem Destillierhelm abgebildet. Die Kontaktstelle zwischen Destillierhelm und Destillierkolben wurde mit Lehmschlicker abgedichtet. Der Kolbenbauch wurde zum Schutz des Glases vor dem Erhitzen mit grobem Lehm eingepackt. Im Inneren des Kolbens ließen sich tropfenförmige rote Gebrauchsspuren von herunterlaufenden Flüssigkeiten beobachten. Daneben befinden sich an der Innenseite des Gefäßes Ablagerungen, in diesem Fall besonders intensiv rote Verfärbungen auf dem Boden, die nach dem Zerbrechen des Gefäßes weiter in die Scherbenränder eingebrannt sind.

Umfassende Informationen und weitere spannende Details zur Wittenberger Alchemistenwerkstatt wurden direkt im Anschluss an ihre Restaurierung und wissenschaftliche Auswertung im Rahmen der Sonderausstellung ›Alchemie – Die Suche nach dem Weltgeheimnis‹ vom 25. November 2016 bis zum 5. Juni 2017 im Landesmuseum für Vorgeschichte präsentiert. Anlässlich der Ausstellung erschienen ein Begleitheft mit demselben Titel sowie der Band ›Alchemie und Wissenschaft des 16. Jahrhunderts. Fallstudien aus Wittenberg und vergleichbare Funde‹. Das Buch enthält die Ergebnisse einer internationalen Tagung, die im Vorfeld im Landesmuseum für Vorgeschichte stattgefunden hatte, und vereint Beiträge zur Ausgrabung, Restaurierung und Untersuchung der Wittenberger Alchemiefunde mit solchen, die den geisteswissenschaftlichen und medizinhistorischen Kontext, aber auch Aspekte alchemischer Praxis und Überlieferungen sowie Vergleichsfunde im deutschsprachigen Raum behandeln. Beide Bände sind im Museumsshop des Landesmuseums für Vorgeschichte, beim Verlag Beier & Beran sowie im Buchhandel erhältlich und ermöglichen jedem Interessierten auch nach Ende der Ausstellung die tiefergehende Beschäftigung mit diesem ganz besonderen archäologischen Fund.

Einen weiteren Einblick in die Alchemistenwerkstatt bietet der Film zur Sonderausstellung ›Alchemie. Die Suche nach dem Weltgeheimnis‹. Vom 25. November 2016 bis zum 5. Juni 2017 stand der sensationelle Fund aus Wittenberg in ihrem Mittelpunkt.

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